Montag, 16. Februar 2015

Sätzegeist und Wörterklau



Hach, wie ist es fein, mit einer Muttersprache gesegnet zu sein, in der schon Goethe seine geistigen Ergüsse wohlwollend zu Papier gebracht hat. Deutsch bietet nicht nur die Gelegenheit mit Menschen kommunizieren zu können, nein man kann die feinsten seiner Hintergedanken in schnörkelige minutiös austarierte Worte kleiden, die mitunter die kleinste Gefühlsnuance in bedeutende Höhen aufschwingen läßt.
Selbst profane Themen, wie das eigene Alter, lassen sich in wohlfeile Worte gepackt viel anmutiger servieren: "Seht, guter Freund, mehr als 30 Lenze zogen wohl schon durch mein Leben.... „ klingt doch allemal gefälliger als die schlichte Aufzählung der Lebensjahre.

Ich liebe meine Sprache, mit all ihren Tücken und Verbiegungen, Fällen und Konstrukten. Abrufbereit stehen die liebevoll gesammelten Worte in meinem Kopf und warten nur darauf  aus meinem Munde zu fließen, wann immer  ich der Gelegenheit dazu gewahr werde.
Allerdings gibt es da „Amnesius“, ein ganz hinterlistiger Geist, der in meinem Gehirn wohnt und sich auf das Klauen von Sätzen und Wörtern spezialisiert hat.

Ich hasse ihn!

„Gute Frau, was darf’s denn sein?“ spricht der Verkäufer hinter dem Obststand.
„Da“, mit dem Finger zeigend und blöde stammelnd, „diese Dings hätte ich gerne.“

„Sag, kennst Du eigentlich das neue Lied von Dingsbums, mir fällt grad der Name nicht ein, das handelt von Dingens... na sag schon... „

„Hey,  hast Du gestern den Film gesehen mit dem … hach wie heißt er nochmal… der der mit der Dingens verheiratet ist, die mit diesem Gesicht. Ja, Du weißt doch, der hat auch bei dem Film mitgespielt, da fällt mir grad der Titel nicht ein.“

GARGL... stammelnd, nach Worte ringend stolpere ich manchmal durchs Leben, besonders dann wenn Schlagfertigkeit lebensnotwendig wird. Kaum aus einem unangenehmen Dialog mit einem noch unangenehmeren Menschen entlassen, so in etwa 5 Minuten später, läßt Amnesius die richtige Sätze wieder frei... unnötig zu erwähnen, daß es 5 Minuten zu spät ist.

Amnesius, die alte Ratte, schläft wann immer ich vor dem Fernseher sitze und Quizsendungen gucke. Ich wette um alles Geld dieser Welt, daß, stünde ich als Kandidat in diesem Studio, er  sämtliche Aufputschmittel, die greifbar wären, fressen würde, damit er ja nicht verpasst, mir in letzter Sekunde alle Worte aus den Gehirnwindungen zu ziehen. Genauso wie er es wohl auch getan hat, als ich damals im Büro meines Chefs stand und die Gelegenheit zu einer Gehaltserhöhungsforderung nie besser war.

Amnesius ist auch garantiert immer vor Ort, wenn ich Leute bei Veranstaltungen treffe. Menschen, deren Gesichter mir vage bekannt vorkommen, die strahlend mit ausgestreckter Hand auf mich zulaufen, und zwar dann, wenn ich mit Freunden beieinander stehe. Alleine wär’s ja unlustig, denn dann grüßt man einfach freudig zurück, schüttelt die ausgestreckte Hand bereitwillig und zermartert sich Tage später immer noch das Gehirn: „Wer, verdammte Kacke nochmal, war das?“ Aber in einer Gesellschaft – als wohlerzogener Mensch ist man genötigt, den soeben dazu gestoßenen brav vorzustellen. Wie rettet man sich dezent aus so einer Situation? „Ihr kennt Euch doch sicher schon? Nein, dann stellt Euch mal vor, ich muss ganz dringend Pipi machen.“ Eigentlich kann man sich hernach doch gleich ganz vom Acker machen und nach Hause gehen.
Amnesius ist eigentlich nur dann witzig, wenn er woanders  zuschlägt, wie tatsächlich mal erlebt: Jemand stürzt mit genau dieser ausgestreckten Hand von der gegenüberliegenden Straßenseite auf mich zu, wo ich bei einer Bushaltestelle warte, ich ergreife die Hand und schüttle sie herzlich, keinen blassen Schimmer habend, wer das nun wieder ist. Aber ich mache einen auf angenehm überrascht und hoffe auf einen raschen Erinnerungsblitz. Und während derjenige losplappert und mich fragt: „Hey, wie geht es Dir, ich hab Dich schon so lange nicht mehr gesehen? Wie geht es Deinem Mann Karl?“, denke ich nur: „Ich war echt oft verheiratet und ein Karl war  nie dabei.“ Und sehe dabei zu, wie meinem Gegenüber das überfreundliche Lächeln im Gesicht verfällt und er dann peinlich betreten murmelt: „Oh, ‚tschuldigung, ich glaube,  ich habe Sie grad verwechselt.“

Ich habe seit Jahrtausenden dieselbe EC-Karten Geheimnummer und dennoch steht ab und zu Amnesius hinter mir beim Bezahlen, dann starre ich das Gerät an und hab’s eilig und garantiert kein Bargeld dabei und im Einkaufswagen verderbliche Meeresfrüchte oder Gefriergut.

Seit einiger Zeit gesellt sich Amnesius‘ Gemahlin zum ihm – Demenzia, auch sie mag ich nicht wirklich leiden. Den heutigen Tag habe ich mit dem Lesen alter Briefe an meine mittlerweile verstorbenen Eltern verbracht und an manchen Stellen schreibe ich über Menschen, die ich „mittlerweile“ sehr mag und gut kenne und mit denen ich gemeinsame Dinge unternommen habe. Das Geschriebene ist gerade mal 18 Jahre her, das Beschriebene klingt aufregend und lustig und ich starre auf die Handschrift, erkenne es als die meine, aber frage mich, ob ich für meine Mutter damals einfach Geschichten erfunden habe, denn ich kann mich weder an „den guten Bekannten“ erinnern,  noch an die erlebte Geschichte.


Irgendwann werde ich wohl morgens im Badezimmer stehen, mir Duschgel auf die Zahnbürste drücken und mit der freundlichen älteren Frau gegenüber plaudern und mich ärgern, dass sie ihre Lippen synchron zum meinem Geplapper bewegt aber keine Antwort gibt. Aber bis dahin habe ich auch vergessen wer Amnesius und Demenzia sind.

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