Hach, wie ist es fein, mit einer Muttersprache gesegnet zu
sein, in der schon Goethe seine geistigen Ergüsse wohlwollend zu Papier
gebracht hat. Deutsch bietet nicht nur die Gelegenheit mit Menschen
kommunizieren zu können, nein man kann die feinsten seiner Hintergedanken in
schnörkelige minutiös austarierte Worte kleiden, die mitunter die kleinste
Gefühlsnuance in bedeutende Höhen aufschwingen läßt.
Selbst
profane Themen, wie das eigene Alter, lassen sich in wohlfeile Worte gepackt
viel anmutiger servieren: "Seht, guter Freund, mehr als 30 Lenze zogen
wohl schon durch mein Leben.... „ klingt doch allemal gefälliger als die
schlichte Aufzählung der Lebensjahre.
Ich
liebe meine Sprache, mit all ihren Tücken und Verbiegungen, Fällen und
Konstrukten. Abrufbereit stehen die liebevoll gesammelten Worte in meinem Kopf
und warten nur darauf aus meinem Munde
zu fließen, wann immer ich der
Gelegenheit dazu gewahr werde.
Allerdings
gibt es da „Amnesius“, ein ganz hinterlistiger Geist, der in meinem Gehirn
wohnt und sich auf das Klauen von Sätzen und Wörtern spezialisiert hat.
Ich
hasse ihn!
„Gute
Frau, was darf’s denn sein?“ spricht der Verkäufer hinter dem Obststand.
„Da“,
mit dem Finger zeigend und blöde stammelnd, „diese Dings hätte ich gerne.“
„Sag,
kennst Du eigentlich das neue Lied von Dingsbums, mir fällt grad der Name nicht
ein, das handelt von Dingens... na sag schon... „
„Hey, hast Du gestern den Film gesehen mit dem …
hach wie heißt er nochmal… der der mit der Dingens verheiratet ist, die mit
diesem Gesicht. Ja, Du weißt doch, der hat auch bei dem Film mitgespielt, da
fällt mir grad der Titel nicht ein.“
GARGL...
stammelnd, nach Worte ringend stolpere ich manchmal durchs Leben, besonders
dann wenn Schlagfertigkeit lebensnotwendig wird. Kaum aus einem unangenehmen
Dialog mit einem noch unangenehmeren Menschen entlassen, so in etwa 5 Minuten
später, läßt Amnesius die richtige Sätze wieder frei... unnötig zu erwähnen,
daß es 5 Minuten zu spät ist.
Amnesius,
die alte Ratte, schläft wann immer ich vor dem Fernseher sitze und
Quizsendungen gucke. Ich wette um alles Geld dieser Welt, daß, stünde ich als
Kandidat in diesem Studio, er sämtliche
Aufputschmittel, die greifbar wären, fressen würde, damit er ja nicht verpasst,
mir in letzter Sekunde alle Worte aus den Gehirnwindungen zu ziehen. Genauso
wie er es wohl auch getan hat, als ich damals im Büro meines Chefs stand und
die Gelegenheit zu einer Gehaltserhöhungsforderung nie besser war.
Amnesius
ist auch garantiert immer vor Ort, wenn ich Leute bei Veranstaltungen treffe.
Menschen, deren Gesichter mir vage bekannt vorkommen, die strahlend mit
ausgestreckter Hand auf mich zulaufen, und zwar dann, wenn ich mit Freunden
beieinander stehe. Alleine wär’s ja unlustig, denn dann grüßt man einfach
freudig zurück, schüttelt die ausgestreckte Hand bereitwillig und zermartert
sich Tage später immer noch das Gehirn: „Wer, verdammte Kacke nochmal, war
das?“ Aber in einer Gesellschaft – als wohlerzogener Mensch ist man genötigt,
den soeben dazu gestoßenen brav vorzustellen. Wie rettet man sich dezent aus so
einer Situation? „Ihr kennt Euch doch sicher schon? Nein, dann stellt Euch mal
vor, ich muss ganz dringend Pipi machen.“ Eigentlich kann man sich hernach doch
gleich ganz vom Acker machen und nach Hause gehen.
Amnesius
ist eigentlich nur dann witzig, wenn er woanders zuschlägt, wie tatsächlich mal erlebt: Jemand
stürzt mit genau dieser ausgestreckten Hand von der gegenüberliegenden
Straßenseite auf mich zu, wo ich bei einer Bushaltestelle warte, ich ergreife
die Hand und schüttle sie herzlich, keinen blassen Schimmer habend, wer das nun
wieder ist. Aber ich mache einen auf angenehm überrascht und hoffe auf einen
raschen Erinnerungsblitz. Und während derjenige losplappert und mich fragt:
„Hey, wie geht es Dir, ich hab Dich schon so lange nicht mehr gesehen? Wie geht
es Deinem Mann Karl?“, denke ich nur: „Ich war echt oft verheiratet und ein
Karl war nie dabei.“ Und sehe dabei zu,
wie meinem Gegenüber das überfreundliche Lächeln im Gesicht verfällt und er
dann peinlich betreten murmelt: „Oh, ‚tschuldigung, ich glaube, ich habe Sie grad verwechselt.“
Ich
habe seit Jahrtausenden dieselbe EC-Karten Geheimnummer und dennoch steht ab
und zu Amnesius hinter mir beim Bezahlen, dann starre ich das Gerät an und
hab’s eilig und garantiert kein Bargeld dabei und im Einkaufswagen verderbliche
Meeresfrüchte oder Gefriergut.
Seit
einiger Zeit gesellt sich Amnesius‘ Gemahlin zum ihm – Demenzia, auch sie mag
ich nicht wirklich leiden. Den heutigen Tag habe ich mit dem Lesen alter Briefe
an meine mittlerweile verstorbenen Eltern verbracht und an manchen Stellen
schreibe ich über Menschen, die ich „mittlerweile“ sehr mag und gut kenne und mit
denen ich gemeinsame Dinge unternommen habe. Das Geschriebene ist gerade mal 18
Jahre her, das Beschriebene klingt aufregend und lustig und ich starre auf die
Handschrift, erkenne es als die meine, aber frage mich, ob ich für meine Mutter
damals einfach Geschichten erfunden habe, denn ich kann mich weder an „den
guten Bekannten“ erinnern, noch an die
erlebte Geschichte.
Irgendwann
werde ich wohl morgens im Badezimmer stehen, mir Duschgel auf die Zahnbürste
drücken und mit der freundlichen älteren Frau gegenüber plaudern und mich
ärgern, dass sie ihre Lippen synchron zum meinem Geplapper bewegt aber keine
Antwort gibt. Aber bis dahin habe ich auch vergessen wer Amnesius und Demenzia
sind.
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